Ein Autorenpapier von Thomas Poreski MdL, Prof. Hermann Koch-Gröber, Kai Burmeister IG Metall
1) Klimaziele und Transformation zusammendenken
Baden-Württemberg steht vor der Herausforderung, sowohl die Klimaziele zu erreichen als auch die Transformation der vorhandenen Automobilindustrie zu bewältigen. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung ist angesichts der Größe
der Herausforderung noch unzureichend, um die doppelte Aufgabe zu bewältigen.
Der Automobilstandort Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg ist in Gefahr. 80 % der Wertschöpfung eines Automobils entsteht bei den Zulieferern. Wenn manche Hersteller noch über Finanzpolster verfügen, so gilt dies für die Zulieferer nicht. Was in der automobilen Wertschöpfungskette jetzt verschwindet,
kann nicht transformiert werden.
Die Förderung von batterieelektrischen Fahrzeugen kommt bei der heimischen Industrie kaum an. Batterieelektrische Fahrzeugen werden trotz Zuwächsen weiterhin in zu geringen Stückzahlen nachgefragt, um wegbrechende Umsätze der bestehenden Automobilindustrie zu stabilisieren.
Nach jetzigem Stand werden die Klimaschutzziele im Verkehr auch künftig klar verfehlt. (minus 4 Prozentpunkte p.a. ab 2020 für das Pariser Abkommen erforderlich)
Es braucht daher sowohl für die Klimaziele als auch für die Automobilindustrie zusätzliche Antworten und Strategien, um durch verlässliche Wertschöpfung die Transformation der Industrie zu ermöglichen und zugleich in der Summe zu wesentlich niedrigeren CO2-Emissionen zu kommen, als dies mit den aktuellen Rahmenbedingungen möglich ist. Neben einer neuen Verkehrspolitik bedarf es auch
antriebsseitig einer zielgerichteten Nachsteuerung!
2) Die industrie- und klimapolitische Antwort mit neuartigen Hybridfahrzeugen
Neben batterieelektrischen Fahrzeugen können Hybridfahrzeuge einen signifikanten Beitrag zu einer real schnell wirksamen Minderung der fossilen CO2-Emissionen des Verkehrs leisten, wenn sie stimmig ausgelegt und konsequent genutzt werden.
Dazu sind bestehende Defizite rund um Plug-in-Hybridfahrzeuge (PHEVs) anzugehen:
- Bisher sind Plug-in-Hybridfahrzeuge in der Regel so ausgelegt (reale elektrische Reichweite oft kürzer als 50 km, suboptimaler Einsatz der E-Maschine im Antriebssystem), dass sie günstige Verbrauchswerte vor allem im Prüfzyklus, nicht aber im Alltag erreichen.
- Diese nicht auf maximale elektrische Nutzung, sondern auf das formale Erreichen der CO2-Credits ausgelegten PHEVs haben inzwischen ein fragwürdiges Image (‚Mogelpackung‘), zumal sie häufig als besonders groß dimensionierte und hoch motorisierte Fahrzeuge angeboten werden.
Diese Defizite lassen sich mit so genannten Long Range PHEV (LR-PHEV) angehen, deren rein elektrische Reichweite mindestens 100 km betragen sollte. LR-PHEV weisen folgende Vorteile auf:
- Viele Nutzer können 80 % bis über 90 % der Strecken rein elektrisch zurückgelegen. Sie kommen mit einer vergleichsweise kleinen Batterie aus (ca. 20 kWh), was deren Produktionsaufwand und Versorgungsengpässe minimiert.
- LR-PHEV können mit ihrer Batterie Bremsenergie zu einem großen Teil als elektrische Energie speichern, auch bei Verbrennereinsatz.
- Eine gegenüber reinen PHEV größere Batteriekapazität ermöglicht eine zukunftsweisende Systemauslegung, indem geringere Geschwindigkeiten und Beschleunigungsphasen grundsätzlich elektrisch dargestellt werden und ein relativ kleiner Verbrenner vorrangig für höhere Dauergeschwindigkeiten effizient eingesetzt wird.
- LR-PHEV sind uneingeschränkt langstreckentauglich und erschließen für E-Autos stark erweiterte Kundenkreise (z.B. Haushalte mit nur einem Auto in flexibler Nutzung), deren Reichweitenangst zu negieren nicht zielführend ist.
- Der Verbrenner kann über Kraft-Wärme-Koppelung die im Winterbetrieb physikalisch unabwendbare Reichweiteneinschränkung weitgehend kompensieren.
Durch eine entsprechende Auslegung können sich die realen Verbrauchswerte an die Normwerte annähern. Die Überprüfung von Realverbrauch und Ladeverhalten ist durch das inzwischen serienmäßig verbaute On-Board-Monitoring (OBFCM) flächendeckend möglich.
Unterstützung kann ein solcher Ansatz dadurch erhalten, dass in möglichst vielen Fahrzeugsegmenten preislich attraktive Modelle angeboten werden und Ladevorgänge durch die technische Auslegung möglichst schnell und unkompliziert verlaufen können.
Unsere Fahrzeugindustrie – OEMs wie Zulieferer – verfügt über die erforderlichen Kompetenzen in Motoren- und Getriebetechnik, E-Komponenten und Software, so dass solche ultrasparsamen Fahrzeuge zeitnah entwickelt und produziert werden können. Erste Mittelklasse-PHEV mit immerhin ca. 70 km nomineller elektrischer Reichweite gehen noch 2020 in den Verkauf, eine Ausweitung auf wünschenswerte gut 100 km
erscheint zeitnah umsetzbar.
Damit können in kurzer Zeit und in großer Zahl mehr Automobile im Einsatz sein, deren realer CO2-Fußabdruck bei weniger als der Hälfte der heutigen Verbrennerfahrzeuge liegt.
3) Long-Range Hybrid jetzt stärken
Bei einer entsprechenden politischen Begleitung durch ein kurzfristig zu
startendes Programm ist mit geschicktem Einsatz verfügbarer technologischer Kompetenzen und Stärken in der Produktion die Transformation unserer Automobilwirtschaft so gestaltbar, dass ab sofort der Übergang zu einer reinen und CO2-neutralen E-Mobilität für die nächsten 10 bis 15 Jahren ohne industriellen Kahlschlag und mit Sicherung von Arbeitsplätzen und erreichten Tarifstandards möglich wird – mit deutlich besserer Klimabilanz als die aktuelle Strategie.
Zur anzustrebenden politischen Begleitung gehört:
Im Bund:
- Grundsätzlich wird die Förderhöhe für real sparsame Plug-In-Hybridfahrzeuge mit längerer rein elektrischer Reichweite (LR-PHEV) auf hohem Niveau wie bei rein batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) gehalten, während die Förderung von nur geringfügig elektrisch genutzten PHEV zurückgefahren wird. Aus einem wissenschaftlichen Begleitprogramm werden dafür Kriterien abgeleitet.
- Um den Klimaeffekt zu verifizieren, werden die Verbrauchsdaten jährlich ausgelesen. Wird eine reale Grenze überschritten (z.B. 75 g CO2/km), wird die Förderung in Form einer erhöhten Kfz-Steuer zurückgenommen. Dies ist bei sachgerechter Fahrzeugauslegung und -nutzung problemlos vermeidbar!
- Einbindung der Betreiber elektrischer Netze mit Hausanschlüssen und Elektrohandwerk.
- Gezielte Förderung für KMU/Private für die Kombination PV/Wallbox/LR-PHEV.
- Aufladung aus geförderten PV-Anlagen über Firmenparkplätzen während der Arbeitszeit: Für das Laden der vergleichsweise kompakten Batterien von LR-PHEV (ca. 20 kWh) reichen über Nacht 230 V 1phasig (2,3 kW Haushaltssteckdose); eine Schnellladung ist an einfachen 11 kW Ladesäulen in ca. 2 h erreicht. Folglich können sehr viele LR-PHEV mit zusätzlich erzeugtem Ökostrom betrieben werden.
Im Land:
Fokusprogramm LR-PHEV des Landes ab Herbst 2020, auch als Impulsgeber für den Bund:
- Ziele: Nachfrage und Fahrzeugentwicklung anregen, Akteure gewinnen.
- Flottenbetreiber in BaWü werden über den Strategiedialog Automobilwirtschaft für OBFCM-Nachweise von Realverbräuchen (fossil und elektrisch) ihrer PHEVs gewonnen.
- Freiwillige Pilotflotten werden zeitnah definiert: Dienstwagen des Landes, der Kommunen und ihrer Betriebe, der Autoindustrie – Daimler, Porsche, Audi (NSU), Bosch, ZF – und aus dem Mittelstand.
- Ab 2021 Ausweitung auf weitere Flotten, insbesondere Lieferverkehre. Leichte Nutzfahrzeuge < 3,5 t haben hohe Anteile an Verkehrsleistung und besondere Potenziale als LR-PHEV durch günstige Bauraumverhältnisse.
- Öffnung für sich freiwillig beteiligende Privatnutzer.
- Eine wissenschaftliche Begleitstudie leitet Kriterien für die Bundesförderung von LRPHEV und der begleitenden Infrastruktur ab.
Zum Hintergrund dieses Vorschlags:
Dieser Vorschlag ist in den letzten Monaten zwischen drei Akteuren entstanden, die in den Bereichen Politik, Wissenschaft und Gewerkschaft aktiv sind. Gemeinsam sind die Impulsgeber am Gelingen des Klimaschutzes und der industriellen Transformation interessiert.
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