Rede im Landtag zur Aktuellen Debatte am 20.5.2020
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Kinder und Jugendliche sind systemrelevant! Sie und ihre Familien haben Anspruch auf unsere Solidarität und auf gezielte Unterstützung – mit und nach Corona.
Wir haben in dieser Krise in vielen Bereichen schnell, engagiert und wirkungsvoll gehandelt, um die Menschen vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzumildern. Darauf und auf die vielen verständigen Menschen in unserem Land können wir zurecht stolz sein.
Zur Risiko-Nutzen-Abwägung gehört jedoch immer auch die ehrliche Betrachtung der „Nebenwirkungen“, die alle politischen Entscheidungen haben. Gerade weil uns Kinder und Jugendliche besonders am Herzen liegen, ist es an der Zeit, eine erste Bilanz der sozialen und emotionalen Folgen zu ziehen und daraus zu lernen. Denn die Krise ist trotz aller Erfolge noch lange nicht überstanden. Umso wichtiger ist es, dass wir auf die Verletzlichsten in dieser Gesellschaft schauen, dass wir kein Kind zurücklassen.
Ein kritischer Blick ist deshalb keine Majestätsbeleidigung, sondern Voraussetzung für gemeinsames Lernen. Ob es dafür immer Ihres rhetorischen Holzhammers bedarf, lieber Kollege Born, darf allerdings bezweifelt werden. Sie erinnern mich an ein Sprichwort, das der legendäre Psychologe Paul Watzlawick gerne zitiert hat: Wenn Du als einziges Werkzeug einen Hammer hast, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus!
Wir sagen: Klartext und lösungsorientierte Verantwortlichkeit schließen sich nicht aus – sie gehören zusammen!
Zum Klartext gehört: Viele Kinder und Jugendliche verkraften die besonderen Belastungen der Coronakrise relativ gut, andere keineswegs. Etwa 20 Prozent der Schüler*innen werden beim Homeschooling nicht erreicht. Kindern und Jugendlichen fehlt bei geschlossenen Kitas und Schulen nicht nur das Lernumfeld, sondern eine ganzheitliche Förderung. Frühkindliche Bildung hat durch den Dreiklang aus Bildung, Erziehung und Betreuung eine enorme Bedeutung für die späteren Lebenschancen. Lange versäumte Zeiträume schlagen sich dem entsprechend nieder.
Die Gewaltambulanz Heidelberg geht infolge der Kontaktbeschränkungen von einer Verdreifachung bei Kindesmisshandlungen aus. In sozialer Isolation steigt für Kinder und Jugendliche zudem das Risiko Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, im persönlichen Umfeld wie im Internet.
Selbst für die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen, denen es zuhause gut geht, ist die Belastungsgrenze oft erreicht oder überschritten – ebenso wie für ihre mit Homeoffice und Homeschooling oft mehrfach geforderten Eltern.
Deshalb ist es gut, dass Schulen, Kitas und andere Angebote nun, nach den Kriterien des Infektionsschutzes, Schritt für Schritt wieder geöffnet werden. Es liegt in der Verantwortung des Landes, diesen Prozess zu begleiten und mit zu gestalten. Mit einem strukturierten Dialog, mit den Kommunen, mit den Schulen, den Eltern und den freien Trägern. Wir brauchen also mehr als die Verständigung auf einen rechtlichen Rahmen, den die Verantwortlichen vor Ort dann irgendwie ausfüllen müssen. Das wäre viel zu kurz gesprungen. Das Land kümmert sich aus guten Gründen, obwohl formal nicht zwingend zuständig, sehr wohl nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität in der Kinderbetreuung. Deshalb gibt es den pädagogisch bahnbrechenden Orientierungsplan. Deshalb gibt es zwei Pakte mit den Kommunen, zur Betreuung für unter 3-Jährige und nun auch zu so wichtigen Qualitätsfragen wie Leitungszeit und Sprachförderung. Und deshalb begrenzt sich das Land nicht auf das schulische Lernen, sondern fördert auch sehr gezielt die Schulsozialarbeit.
Für uns ist deshalb klar, was Krisenmanagement in dieser besonderen Lage bedeutet: Wir brauchen die Verständigung über Handreichungen und Konzepte – und über einen Weg, wie aus Positivbeispielen landesweit handlungsleitende Standards werden.
So ist zu klären, dass und wie mit allen Kindern Kontakt gehalten wird. Über soziale Medien, über Telefon oder auch über reale Begegnungen. Dabei helfen kann zum Beispiel die preisgekrönte Regenbogen-App, mit der Kinder von 3 bis 11 Jahren intensiv mit ihren pädagogischen und sozialarbeiterischen Fachkräften kommunizieren können.
Alleinerziehende brauchen uneingeschränkt den Zugang zur erweiterten Notbetreuung und zum reduzierten Regelbetrieb – dies darf kein Hürdenlauf mehr sein. Ebenso selbstverständlich muss sein, dass die Expertise der Lehrerinnen und Lehrer, der Erzieherinnen und Erzieher zählt. Sie wissen genau, welche Kinder und Familien einen besonderen Bedarf haben.
Mit den kommunalen Landesverbänden ist zu klären, wie Kinder an das kostenlose Kita- und Schulessen kommen – nicht nur im institutionellen, sondern auch im häuslichen Umfeld.
Die bisherigen Erfahrungen mit der Coronakrise erfordern auch eine Analyse des Handlungsbedarfs im Kinderschutz. Er ist in der Umsetzung eine weisungsfreie Pflichtaufgabe der Stadt- und Landkreise, aber auch er braucht einen Qualitätsrahmen. Die Grüne Landtagsfraktion wird die aktuellen Erfahrungen gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden und unabhängigen Expert*innen auswerten. Und wir werden die Befunde mit den Empfehlungen der Kinderschutzkommission der Landesregierung und unseren Fachanhörungsergebnissen abgleichen. Denn wir brauchen mehr denn je landesweit verlässliche Kinderschutzstandards.
Die gezielten Lockerungen des öffentlichen Lebens müssen auch die Angebote der offenen Jugendarbeit, der Jugendbildungsarbeit und der Jugendsozialarbeit umfassen. Dabei ist zeitnah zu klären, wie etwa Jugendfreizeiten und Zeltlager in verantwortlicher Weise gestaltet werden können. Das Sozialministerium ist hier mit allen Akteuren im guten Gespräch.
Gutes Lernen wird auch künftig teilweise digital erfolgen. Wir brauchen deshalb verbindliche Vorgaben und Absprachen, wie Kinder in den kommenden Monaten durch ihre Lehrerinnen und Lehrer zu Hause qualifiziert unterrichtet werden. Lernpakete sind kein Unterricht. Es ist schön, dass die Schülerinnen und Schüler jetzt wieder für wenige Stunden in die Schule kommen dürfen – aber den Rest des Unterrichts können wir nicht weiterhin den Eltern, der Kreativität einzelner Lehrkräfte und dem Zufall überlassen.
Deshalb ist es wichtig und richtig, dass sich die Koalition gestern auf 65 Millionen Euro zusätzlich für digitale Endgeräte verständigt hat. Wenn in Italien jedes Kinder jeden Tag mehrere Stunden am Laptop unterrichtet werden kann, dann können wir das auch.
Weiterhin notwendige Einschränkungen für den Betrieb von Kitas und Schulen müssen gut begründet werden. Nach allem, was wir wissen, ist das Risiko von Kindern und für Kinder durch Corona relativ gering. Die Kinderstudie des Landes, die uns Ende der Woche vorgestellt wird, wird uns eine weitere Orientierungshilfe geben.
Entsprechend kann der Öffnungsprozess der Kitas angepasst werden – dialogisch abgestimmt und fachlich so gestaltet, dass wir den Bedürfnissen von Kindern und Familien ebenso gerecht werden dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Auch hier braucht es eine koordinierende Hand des Landes. Reden wir also ganz konkret über Hygieneregeln wie Händewaschen und Mundschutz für die Fachkräfte, über Abstandsregeln wie die Kinderübergabe außerhalb der Kita, über das vermehrte Spielen draußen, über die Nutzung weiterer wenig genutzter Räumlichkeiten, über realistische Einsatzkonzepte für die Risikogruppe beim Personal und vor allem über flächendeckende und systematische Testungen. Das ist nicht nur in Pflegeheimen, sondern auch in Kitas möglich und nötig. Damit spätestens nach den Sommerferien wieder alle Kinder, die einen Anspruch darauf haben, ihre Kita besuchen können. Dies fordert auch die Initiative zur Gründung eines Landeselternbeirats für die Kindertagesbetreuung – zurecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen kreative, angepasste Lösungen und klare Perspektiven – und die finden wir, hier wie überall, gemeinsam mit den Betroffenen!
Herzlichen Dank!
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