Rede zur Ersten Beratung des Ausführungsgesetzes des BTHG – Bundesteilhabegesetz

Das neue Bundesteilhabegesetz ist ein sozialpolitischer Meilenstein. Es stellt die Weichen für ein Behindertenrecht nach den Standards der UN-BRK. Endlich, auch in Deutschland. Es nimmt das Behindertenrecht aus der Sozialhilfe heraus und soll bewirken, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr  arme Fürsorgeempfänger_innen sind. Sie werden zu Sozialbürger_innen, die wirklich an der Gesellschaft teilhaben.

Ein riesiger Umbruch, und deshalb verwundert es nicht, dass das neue BTHG bereits vor der Verabschiedung auf Bundesebene mehr Wirbel erzeugt hat als jedes Sozialgesetz der vergangenen 30 Jahre. Die erste Anhörung zu diesem Gesetz aus dem Hause Nahles war niederschmetternd. Es war zu befürchten, dass das Gesetz seinen Zweck komplett verfehlt. So war vorgesehen, dass ein Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderungen nur akzeptiert wird, wenn sie in 5 von 9 Lebensbereichen nicht zurechtkommen. Gegen diesen Gesetzentwurf protestierte, zurecht, die bisher größte Demonstration von Menschen mit Behinderungen in Deutschland.

In vielen Bund-Länder-Runden und im Bundesrat ist es schließlich gelungen, das Gesetz zu verbessern und ins Laufen zu bringen.

Der weitreichenden Aufgabe entsprechend wird die Umsetzung in mehreren Schritten erfolgen. Die Abstimmung mit allen anderen Gesetzen und Lebensbereichen wird komplex.
Es kommt dabei mehr als bei anderen Bundesgesetzen auf die Länder an.

Denn der größte Mangel des BTHG ist auch sein größter Vorteil. Es ist oft unkonkret und muss durch Landesrecht so ausgefüllt werden, dass die damit verbundenen Ansprüche tatsächlich erfüllbar werden. Ob wir die Chance zu einem echten Teilhaberecht nutzen, wird daher von vielen abhängen: Von uns als Gesetzgeber, von der künftigen Rolle des Landes, von den Kommunen, den Leistungserbringern und nicht zuletzt den Betroffenen und ihren Verbänden.

Das heute zur Debatte stehende erste Ausführungsgesetz stellt einige Weichen. Es hat aber nicht den Anspruch, alle Fragen, die sich bis 2023 stellen, abschließend zu beantworten. Dafür bin ich dankbar, auch für den umfassenden Dialog bei der weiteren Ausgestaltung. Denn es geht um viel. Um einige Schlaglichter zu benennen:

– Wer wird Leistungsträger, wie stehen Kommunal- und Landesebene miteinander im Bezug, und was wird aus dem Dreiecksverhältnis? Die erste, richtige Weichenstellung dazu ist: Die Stadt- und Landkreise sind und bleiben zentrale Akteure.
– Wie sieht eine personenzentrierte Bedarfsermittlung aus und wer legt letztendlich das Verfahren fest? Hierzu ist im Gesetz klargestellt: Es gibt ein landeseinheitliches Verfahren nach dem anerkannten ICF-Standard. Das Land hat hier das letzte Wort.
– Welche Faktoren – wie Zeit, Fachlichkeit und Tarifbindung – spielen dabei eine Rolle? Wie werden die Lebensbereiche Arbeit, Wohnen sowie soziale und kulturelle Teilhabe abgebildet? Auch in diesen Fragen hat das Land eine steuernde Funktion.

– Wer erhebt den Bedarf und in welcher Struktur? Das wird im Gesetz ausdrücklich offengelassen. Viele plädieren, und das teile ich, für eine Bedarfserhebung unabhängig von den Kostenträgern und unabhängig von den Leistungsanbietern.

– Wie gelingt eine Vereinbarung auf Augenhöhe, was leisten die einheitliche Anlaufstelle und die unabhängige Teilhabeberatung? Eine erste Antwort auch hier: Wir stärken die Rolle von Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen. Und dieser Weg wird konsequent fortgesetzt!

– Wichtig auch: Wir erhalten wir die vorhandene Fachlichkeit und Qualität – und wie ebnen wir ihr den Weg in die neuen Rahmenbedingungen? Hierüber führen wir einen intensiven Dialog. Denn natürlich brauchen die Anbieter Brücken für eine Anpassung ihrer Strukturen.

– Und nicht zuletzt, der klassische Aufreger: Welche Kostendynamik ist zu erwarten und wie gewährleisten wir die Wirtschaftlichkeit – im Einklang dem Wunsch- und Wahlrecht?

Dazu hat das Land die vom Bund für 2018 und 2019 berechnete Konnexität gegenüber den Kommunen anerkannt. Freiwillig, während andere Länder dies verweigern. Auch nach 2020 werden wir die Konnexität anerkennen, real und objektiv – anders als die wilden, taktisch motivierten Spekulationen, die öffentlich gestreut werden. Wir werden dabei, im Einklang mit den anderen Bundesländern, die Konnexitätseffekte beim Bund einfordern.

Die hier skizzierten Eckpunkte sind unser Maßstab für die weiteren Beratungen – im Parlament, gegenüber dem Sozial- und Integrationsministerium, gegenüber der Fachöffentlichkeit, mit unserer Landesbehindertenbeauftragten Steffi Aeffner und mit anderen Expert_innen in eigener Sache. Denn, wie vom Bundesgesetzgeber vorgesehen: Die Ausgestaltung wird ein anspruchsvoller Prozess, der sich über mehrere Jahre hinzieht.

Viele der Herausforderungen wurden bereits in unserer grün-schwarzen Anhörung zum Bundesteilhabegesetz im Land am 23.10.2017 treffend benannt und formuliert. Und zwar unabhängig davon, von welcher Seite die Sachverständigen kamen.

Mit dem Entwurf zum ersten Landesausführungsgesetz haben wir nun eine gute Grundlage für die weitere Arbeit!

Hier kann die Rede nachgehört werden: https://www.landtag-bw.de/home/mediathek/videos/2018/20180228sitzung0551.html?t=4676

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